Tana French: Broken Harbour

Broken Harbour/Schattenstill – Tana French

Kurzzusammenfassung:
Broken Harbour, eine windgepeitschte Geisterstadt voller Bauruinen nördlich von Dublin: In einem der wenigen bewohnten Häuser wird eine junge Familie aufgefunden – die Eltern brutal niedergestochen, die beiden kleinen Kinder erstickt. In den Wänden ihres hübsch eingerichteten Häuschens klaffen rätselhafte Löcher. Detective Mike Kennedy ist überzeugt, dass er den Fall lösen wird, schließlich arbeitet niemand in der Mordkommission so effektiv wie er. Doch Broken Harbour entpuppt sich als erbarmungsloser Abgrund, der auch ihn zu verschlingen droht … (Klappentext)

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Meine Meinung:
Ein langes Lesevergnügen, aber es hat sich für mich absolut gelohnt. Für mich lebt dieses Buch durch seine absolut präzisen und lebendigen Einblicke. In den Ermittler Mike “Scorcher” Kennedy, dessen kontrollierte Fassade zu bröckeln beginnt wie die der minderwertig gebauten Häuser am Tatort. In die Bilderbuchfamilie Spain und deren erschreckendes Ende. Und in die Endzeitstimmung Irlands am Höhepunkt der Krise.

“Geistersiedlungen” waren ein riesiges Thema und ein Schicksal wie das der Spains gab es tausendfach (abgesehen von der hochdramatischen Zuspitzung – hoffentlich). Deswegen war mir diese Welt sehr nahe. Der Fall ist unheimlich, geschickt geplottet und geradezu herzzerreissend. Wobei für mich die überraschende Wendung nicht unbedingt im Hauptfall lag …

Tana French legt außerdem hohen Wert auf psychologische Entwicklung – und die Polizeiarbeit. All das kombiniert mit dem schwierigen Privatleben und der Dynamik zwischen dem unbeliebten Einzelgänger Kennedy mit seinem unerfahrenen aber talentierten Partner Richie – das Buch ist wirklich ein Brocken, und es legt so viel Wert auf Details, manche Leser könnten die Geduld verlieren. Da mir persönlich die Polizeiarbeit nicht so wichtig ist, fand ich die Dialoge oft ein wenig weitschweifig, und 100 Seiten weniger hätten dem Buch vielleicht nicht geschadet. Trotzdem hat mich die Geschichte sehr in den Bann gezogen.

Und wie immer hab ich mein Herz an sie alle verloren – die schwierigen, vielschichtigen Charaktere (mal abgesehen von den abgründigen, aber auch irgendwie realistischen Nachbarn). Was andere unsympathisch nennen, geht mir oft sehr zu Herzen, und Detective Kennedy ist definitiv so ein Fall. Ein Mann, dessen Schutzwall mit fortschreitender Story implodiert – und ihn letztendlich seine eigenen Gesetze brechen lässt.

Fazit: Kriminal und Roman halten sich hier die Waage. Bedrückend, atmosphärisch, psychologisch, unheimlich, weitschweifig – empfehlenswert! Dies war garantiert nicht mein letzter Tana French.

Sascha Arango: Die Wahrheit und andere Lügen

Kurzzusammenfassung:
Henry ist ein erfolgreicher Schriftsteller. Er ist elegant, großzügig und sehr gefährlich. Denn Henry ist ein skrupelloser Hochstapler, der sich ein überaus angenehmes Leben geschaffen hat. Fatalerweise wird seine Geliebte von ihm schwanger. Nun müsste er seiner Frau alles erzählen. Aber muss er ihr wirklich alles sagen? Das würde seine Existenz vernichten. Einfacher wäre es, die Geliebte aus dem Weg zu räumen. Doch genau dabei passiert Henry ein fatales Missgeschick.

Meine Meinung:
Zugegeben – ich bin ein furchtbarer Lesesnob. Ich zer-analysiere, bin kritisch bis zum Exzess und langweile mich schnell, wenn mich der Schreibstil nicht überraschen kann. Umso euphorischer reagiere ich, wenn mich ein Buch packt, mich vor Begeisterung jauchzen lässt, dem Ende entgegenfiebern und und es zugleich fürchten lässt, während ich blättere und blättere und blättere. Die Wahrheit und andere Lügen ist so ein Buch. Es strotzt mit lakonischen, reduzierten Sätzen voller winziger Überraschungen und (schwarzem) Humor. Und was ich besonders mag: Obwohl gar garstige Dinge passieren, werde ich nie mit billigen Effekten, blutigen Detailbeschreibungen oder Folterszenen drangsaliert. Alles passiert in meinem Kopf.

Die Figuren sind nicht durchpsychologisiert doch in sich stimmig, und man weiß genau so viel von ihnen, um mit ihnen fühlen zu können, auch wenn sie sich geradezu abscheulich verhalten. Das gilt vor allem für Protagonist Henry, ein manipulativer, eiskalter und zugleich doch nicht gewissenloser Charakter. Aber auch die Verlagssekretärin Honor Eisendraht und Gisbert Fasch, allesamt ziemlich kleingeistige, rachsüchtige Fieslinge, fand ich wunderbar.

Ein Wort der Warnung an all jene, die sich einen klassischen Krimi/Thriller oder gar akkurate Polizeiarbeit erwarten. Lasst alle Hoffnungen fahren. Hier klaffen die Ermittlungslücken und bequeme Abschneider wie der Grand Canyon. Aber wie der geschmeidige Henry Hayden schafft es Sascha Arango mit flinker Zunge und einem nicht enden wollenden Strom von kleinen, amüsanten Plotüberraschungen, dass es mir alle Gesetze der Logik nur eines bedeuten. Nichts.

Appetithappen:
„Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, die rührendsten Komplimente ausgerechnet aus dem Mund des Feindes zu hören, auf dessen kalte Abscheu bisher Verlass war.“

„Henrys Name fiel wie ein Schwert.“

Fazit:
Lesen und lieben.

Thomas Glavinic: Das größere Wunder

Kurzzusammenfassung:

Jonas ist Tourist in einer Todeszone, er nimmt an einer Expedition zum Gipfel des Mount Everest teil. Während des qualvollen Aufstiegs hängt er seinen Erinnerungen nach. An seine wilde Kindheit, an das grausame Schicksal seines Bruders Mike, an seine endlosen Reisen nach Havanna, Tokio, Jerusalem und Oslo. Und schließlich an die magische Begegnung mit Marie, seiner großen Liebe, die sein ganzes Leben verändert. (Quelle: Website T. Glavinic)

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Meine Meinung:

Nach dem einzigartig unterhaltsamen Das bin doch ich war Das größere Wunder mein zweiter Glavinic-Roman. Und für das fantastische, geradezu märchenhaft angehauchte „Wunder“ brauchte ich nach dem satirisch-autobiografisch gehaltenen Roman über Schriftstellerambitionen schon etwa 100 Seiten als Umgewöhnungsphase. Jonas und sein geradezu sagenhaftes, finanziell sorgenfreies doch von regelmäßigen Tragödien überschattetes Leben, das er im Rahmen seiner Besteigung des Mt. Everest erzählt, ist sehr ausführlich beschrieben, aber vieles bleibt vollkommen ungeklärt. So ist Jonas eine Art Wunderkind von kleinauf, obwohl seine Mutter Alkoholikerin ist; er wird von einem unermesslich reichen Mafioso-Opa adoptiert; er spricht fast alle Sprachen dieser Welt; er trotzt jeder selbst heraufbeschworenen Gefahr und körperlichen Unbilden – alles ohne nur den Versuch einer plausiblen Erklärung. Nur wenn man diese Lücken akzeptieren kann, kann man das Buch auch genießen.

Und das habe ich! Auch wenn ich mich anfangs ein wenig schwer tat mit Jonas‘ Welt und seiner Suche nach dem Sinn des Lebens  – danach konnte und konnte ich nicht aufhören zu lesen. Vor allem über die letzten 200 Seiten habe ich in einem Rutsch durchgelesen (dem Himmel sei Dank für Langestreckenflüge ;)) und war fasziniert von der Beschreibung der letzten Tage von Jonas‘ Sturm auf den Gipfel des Mt. Everest, unterbrochen immer wieder von den Gedanken an seine verlorene große Liebe Marie. So intensiv, so mitreißend – ich konnte mich plötzlich so gut mit Jonas, der sonst oft nicht so mein Fall war, identifizieren, es schmerzte. Und dass am Ende nach all der Tragik ein versöhnlich-märchenhaftes Ende wartet, fand ich nur konsequent. Immerhin ist Das größere Wunder auch nicht von dieser Welt. Im besten Sinne des Wortes.

Fazit:

Sehr empfehlenswerter Entwicklungsroman mit vielen fantastischen Elementen sowie Einsichten zur Liebe, der Freiheit – und darüber, was ein sinnvolles Leben ausmacht.

Melanie Raabe: Die Falle

Kurzzusammenfassung:
Die bekannte Romanautorin Linda Conrads hat seit gut elf Jahren hat sie keinen Fuß mehr über die Schwelle ihrer Villa am Starnberger See gesetzt. Vor vielen Jahren hat Linda ihre jüngere Schwester Anna in einem Blutbad vorgefunden – und den Mörder flüchten sehen. Deshalb ist es ein ungeheurer Schock für sie, als sie genau dieses Gesicht eines Tages über ihren Fernseher flimmern sieht. Grund genug für Linda, einen perfiden Plan zu schmieden – sie wird den vermeintlichen Mörder in eine Falle locken. Doch was ist damals in der Tatnacht tatsächlich passiert? (btb)

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Meine Meinung: 
Melanie Raabes offizielles Debüt wird allerorten gefeiert und gepusht, und da ich das Glück hatte, sie in Leipzig auch ganz kurz persönlich zu treffen, war ich sehr neugierig auf das Buch. Würde es für mich halten, was die Marketinghymnen versprechen?

Fest steht: „Die Falle“ ist ein Buch, durch das ich innerhalb nur weniger Tage geflogen bin. Eines, das ich sofort aufschlug, wenn ich auch nur eine Minute Freizeit hatte. Am meisten mitgerissen haben mich die ersten Seiten, in der wir die Protagonistin Linda kennenlernen. Melanie Raabes Stil war so schlicht und schön und kraftvoll, ich war fasziniert.

„Meine Welt liegt in Schutt und Asche. Ich sitze in meinem Bett, inmitten der Trümmer, und starre auf den Fernseher. Ich bin eine offene Wunde. Ich bin der Geruch von rohem Fleisch.“

Wer mich kennt weiß, dass mich ein gekonnter Stil und mitreißende Charaktere sehr gut über holprige Storylines hinwegsegeln lassen; über Logiklöcher und Plausibilitätsuntiefen. All das gab es in diesem Buch. Mit Linda folgte ich einer sehr schön unzuverlässigen Protagonistin, deren Selbstzweifel und langsames Auseinanderfallen für mich in sich stimmig war und mich oft an ihr zweifeln lassen, ohne dass sie mir unsympathisch geworden wäre. Überhaupt – die Geschichte war so gut ausgedacht, ich wurde immer wieder überrascht, wenn schon nicht ganz vom Verlauf der Geschichte, dann doch von Einsichten und den Reaktionen/Gedanken der Beteiligten mitten in Szenen. Das war richtig richtig gut.

Was ich ein wenig schade fand: der fiktive Roman, den Linda schreibt, um den vermeintlichen Mörder ihrer Schwester anzulocken, nimmt eine für mich zu große Rolle in der Geschichte ein. Denn der ist (sicher bewusst) weit konventioneller geschrieben als die Teile in Lindas Realität, und ich fand dadurch die Handlung teilweise „doppelt gemoppelt“. Aber das ist eben Jammern auf hohem Niveau, wie man es von mir gewohnt ist 😉

Fazit: Unterhaltsames, super geschriebenes und fein ausgedachtes Spannungskammerspiel. Sehr zu empfehlen!

 

David Gray: Kanakenblues

Kurzzusammenfassung:

Es ist eine Nacht, die Hauptkommissar Boyle nie vergessen wird. Kurz hintereinander werden zwei junge Männer ermordet aufgefunden. Unter Hochdruck sucht Boyle nach einer Verbindung zwischen den Mordfällen, denn einer der Ermordeten ist ausgerechnet der Sohn des Hamburger Polizeipräsidenten. Bei seinen Ermittlungen bekommt Boyle es mit korrupten Polizisten, mächtigen Gangsterbossen und nicht zuletzt mit den Schatten seiner eigenen Vergangenheit zu tun.

Meine Meinung:

Hardboiled noir. Gibt es das Genre? Wenn nicht, dann hat David Gray es erfunden. Dieses Buch ist hart, schnell, erbarmungslos. Es ist bevölkert von zwielichtigen Halb- und Unterweltlern, verderbten Oberschichtsöhnen, korrupten Polizisten, toughen Frauen – und mitten drin „Kanake“ Younas Aris. Nach zig Jahren, die er in Deutschland friedlich verbracht hat, will er die Vergewaltigung seiner Tochter Sertab rächen und zieht eine Blutspur durch das nächtliche Hamburg. Aber auch an Hauptkommissar Boyles Stecken klebt jede Menge Dreck. Überhaupt: In diesem Buch ist nichts und niemand unschuldig, und am schlimmsten von allen sind die eigentlichen Hüter des Gesetzes. Es wird schnell geschossen, im großen Stil intrigiert und gerade in den markigen Dialogen manchmal genüsslich die Noir-Klischees bedient, immer wieder gewürzt mit Passagen, die schmunzeln lassen („Proletarier der Welt, verpisst euch!“). Und als ein blutiger Tag seinem Ende zugeht, gibt es anstatt einem Sieg der Gerechtigkeit nur die Gewissheit: Die Chancen, dass diese Welt eine bessere wird, stehen nicht gerade prächtig. Macht das Spaß? Und wie! Soll man das lesen? Auf jeden Fall! Denn David Gray hetzt uns mit viel Abwechslung, flottem Stil und Überraschungen gemeinsam mit Boyle durch die Nacht – und hat zumindest mich damit bestens unterhalten, auch wenn durchaus ernste, hintergründige Themen angeschnitten wurden. Nur eines hab ich bis zum Schluss nicht verstanden: Warum im Jahr 2000 noch so viele Münztelefone zum Einsatz kommen … aber das gehört eben zu einem echten hard-boyled (sorry, konnte nicht widerstehen!) dazu.

Fazit:

Harter, rasanter, unterhaltsamer crime noir mit Botschaft.

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Friedrich Ani: Süden

Friedrich Ani: Süden

Zusammenfassung:
Zurück in München erhält Tabor Süden als Detektiv den Auftrag, nach dem Wirt Raimund Zacherl zu suchen. Der Fall ist genau das Richtige für den ehemals so erfolgreichen Ermittler: Ein Mann verlässt sein Durchschnittsleben, und jeder fragt sich, warum. Mit seinen besonderen Methoden findet Süden die Spur des Wirts und verfolgt sie bis nach Sylt – und schon längst hat er begriffen, dass niemand den Mann wirklich kannte. (Droemer/Knaur)

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Meine Meinung:
Manche Menschen, dachte Süden, werden erst durch ihr Verschwinden sichtbar.

Ach, Friedrich Ani. Seine Romane lese ich meist mit einer guten Pause dazwischen. Einerseits, um ihren außergewöhnlichen und doch einfach zu lesenden Stil angemessen zu genießen. Anis Dialoge sind was vom Besten und Realistischsten, was ich je gelesen habe. Andererseits, weil sie mich immer so melancholisch, fast traurig machen. Tabor Süden sucht mal wieder nach einem Verschwundenen, und stößt dabei erneut auf eine derartige Menge glaubhafter, alltäglich desolater Existenzen, vernachlässigter Kinder, geplatzter Träume und implodierender Lebenslügengebäude, mir wird regelmäßig das Herz schwer. Desolat ist auch Tabor Süden selbst, der – gezeichnet vom frühen Tod seiner Mutter, dem Verschwinden seines Vaters (aha! psychologisches Motiv) und dem Selbstmord seines besten Freundes und Kollegen – diesmal in einen wahren Abgrund seiner Vergangenheit gezogen wird. Aber was sich jetzt nach einer kolossal deprimierenden Lektüre mit den üblichen Ermittler-Klischees anhört, kann ich nur wärmstens empfehlen. Denn Friedrich Ani umgeht konsequent ausgetretene Pfade, unterhält mit einem trotz seiner abgedrehten Art unheimlich zu Herzen gehenden „Helden“ und mit leisem, lakonischen Humor, den ich ganz wunderbar finde. Wer hier mithilfe von Leichenbergen, Verfolgungsjagden und Explosionen aus dem Alltag flüchten will – bitte weitergehen. Hier gibt es „nur“ die ganze menschliche Tragödie in einem intelligenten Krimi verpackt, den man nicht zu Seite legen kann und einen so schnell nicht wieder verlässt. Interessiert? Dann hereinspaziert … Tabor Süden wartet schon. Schweigend, versteht sich.

Fazit:
Friedrich Ani und sein Süden sind meine deutschen Krimihelden. Nachdenklich, herzzerreißend – und sehr spannend. Übrigens: Wer Tabor Süden noch nicht kennt, sollte vielleicht mit „Die Erfindung des Abschieds“ beginnen, dem ersten Tabor Süden Roman.

Tina Seskis: One Step Too Far (Ungeschehen)

Zusammenfassung: 
An einem Sommermorgen wirft Emily Coleman ihren Ehering in den Müll, kauft ein Zugticket nach London und verschwindet ohne ein Wort. Sie will nicht gefunden werden. Will eine andere sein. Anfangs bringt die Sehnsucht sie fast um den Verstand: nach Ben, ihrem Ehemann, nach ihrem kleinen Sohn. Doch mit der Zeit verblasst, wovor sie davonläuft. Bis sie die Ereignisse einholen, die ihr Leben von einer Sekunde auf die andere für immer verändert haben … (von Website RoRoRo)

Meine Meinung:
Hmpf. Für mich ein klarer Fall von Irreführung, dieser Roman. Laut Klappentext erwartete mich mit One Step Too Far/Ungeschehen folgendes:

„Der phänomenale Überraschungserfolg aus England endlich auf Deutsch. Ein raffinierter psychologischer Spannungsroman für alle Leser von Gillian Flynn und S.J. Watson.“

„Spannungsroman, Familiendrama, Liebesgeschichte: Mit ihrem Debüt hat Tina Seskis international Furore gemacht und sich als neue große Stimme in der psychologischen Spannung etabliert.“

Große Schuhe, die man der armen Debütautorin Tina Seskis da hingestellt hat. Und – zumindest in meinen Augen – man hat ihr damit keinen Gefallen getan. Denn dies ist ein zwar gut geschriebener, aber ziemlich klischeehafter Dramenroman, dessen große Überraschung auf einer einfachen Vorenthaltung eines Namens beruht. Gut, diese Irreführung gelingt, aber anstatt eines Aha-Erlebnis à la „Sixth Sense“ fühlt man sich als Leser eher mit einem billigen Trick für dumm verkauft – vor allem, weil ständig die dräuenden Hinweise auf die schrecklichen Ereignisse eines Tages als Karotte vor einem baumeln. Die Handlung war gegen Ende eine einzige Aneinanderreihung haarsträubender Vorkommnisse (Robbie der Fußballspieler? Angel heiratet Tim?), und am Schluss werden alle Szenen husch-husch zusammengelötet, um doch noch ein extrem unglaubwürdiges Ende zusammenzuzimmern .
Was das Buch für mich zumindest gut lesbar macht ist Tina Seskis‘ guter Stil. Gerade die erste Hälfte des Romans fand ich gut gemacht, der Grundkonflikt gut aufgebaut, die Geschichte vielversprechend. Doch in der zweiten Hälfte hilft auch der schöne Schreibstil nicht mehr, die etwas scherenschnittartigen Figuren und die für mich gegen Ende an TV-Dramen erinnernde Handlung zu retten.

Fazit:
Wer ein Fan von Gillian Flynn ist so wie ich, sollte sich trotz der vollmundigen Vergleiche nicht zu enthusiastisch an One Step Too Far/Ungeschehen machen. Hier wird eine arg melodramatische Geschichte als Spannungsroman verkauft, dessen große Wende bei mir eher einen schalen Nachgeschmack hinterlassen hat anstatt Begeisterung. Ein guter Stil macht das Buch jedoch okay lesbar.

Zu kaufen gibt es Ungeschehen von Tina Seskis sozial verantwortungsvoll auf buch7.de
Diese Rezension bezieht sich auf die englische Originalversion „One Step Too Far“

 

 

Mattress Mick II

Mattress Mick

Also. Die Krise ist anscheinend vorbei. Der Irische Phoenix krabbelt langsam wieder aus der Asche. Und einer seiner Boten ist definitiv Mattress Mick (Wenn’s eine Übersetzung braucht: Matratzen-Michel). Viele Jahre war Michael Flynn im Möbelgeschäft tätig, bis er mitten in der größten Krise sein Alter Ego Mattress Mick erfand. Seitdem ist er als selbst deklarierter „verrücktester Matratzenverkäufer Irlands“ geradezu omnipräsent.

Billige Matratzen und billige Werbung seit 2012

Seine konventionellen Möbelgeschäfte schloss er 2012, seitdem gibt es einen großen Matratzen-Show-Room im Nord-Dubliner Coolock sowie einen kleinen Shop auf der Southside in der Pearse Street. Und man muss es dem guten Mattress Mick lassen – wer in Dublin mehr als ein paar Tage verbringt und sich auch mal außerhalb des Stadtzentrums aufhält, der entkommt seinen Werbungen kaum. Und bei denen beweist der Mann eine unbeschwerte Schmerzfreiheit, es grenzt an ein marketingtechnisches Genie.

Mattress Mick II

Die künstlichen Glanzsterne an Brille und Zähnen der Originale sind hier leider nicht zu sehen …

Ob Plakat am Straßenrand, auf Bussen oder auf Anzeigen im Evening Harold: Mattress Mick und seine rein irisch hergestellten Matratzen erobern Dublin. Seine überall im Geschäft aufgestellten Pappkameraden von sich selbst werden immer wieder für Parties gestohlen. Inzwischen wird er anscheinend sogar selbst als Stargast eingeladen. Auch den beliebten Nationalsport Rugby hat sich der gewiefte Matratzenvertriebler  für seine – ähm – unkonventionellen Werbeeinschaltungen unter den Nagel gerissen.

Mattress Mick

Und weil für jemanden wie den umtriebigen Geschäftsmann die Welt nicht genug ist, war neben zahlreichen Youtube-Videos wie zum Beispiel den Harlem Shake und einer neuen Website natürlich der Dreh eines eigenen Musikvideos der logische nächste Schritt: Seit Mitte Oktober ist der Rap Back with a bang online, und hat es nicht nur auf bald 55.000 Views gebracht, sondern sich selbst auch in verschiedenste Radiostationen und in die Irish Times.

Ich kann nur sagen – Hut ab, es wirkt! Mattress Mick ist auf dem besten Weg zum (Internet)-Phänomen. Zumindest hier auf der Insel, denn die Iren nehmen ihren ausgeflippten Haus- und Hofmatratzenverkäufer – wie sollte es anders sein? – mit Humor …

 

Anne Goldmann: Lichtschacht

Anne Goldmann: Lichtschacht

Kurzzusammenfassung:
Lena ist neu in der Stadt, schlägt sich mit Jobs durch, hofft Freunde zu finden. Eines Abends sieht sie, wie eine fremde Frau vom Dach gestoßen wird. Oder hat sie sich das bloß im Rausch eingebildet? Kann sie mit diesem Zweifel weiterleben? Wem soll sie sich anvertrauen? (Von der Verlagsseite Ariadne)

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Meine Meinung:
Auf diesen Roman wurde ich durch Lobeshymnen aufmerksam, die auf Buchblogs, denen ich vertraue, einhellig gesungen wurden. Und ich kann es auch nachvollziehen, irgendwie. Irgendwie? Ja. Denn Anne Goldmann hat mich a) so richtig aufs Glatteis geführt, und das für einen Großteil ihrer fast 400 Seiten. Das bei einem so reduzierten Charakter-Arsenal ist schon eine Leistung. Und b) hab ich das Buch richtig schnell ausgelesen. Ich konnte einfach nicht anders. Der sehr reduzierte Stil mit einfachen Sätzen baut eine geradezu hypnotische Wirkung auf. Man liest weiter und weiter und weiter, auch wenn – gerade im der Protagonistin Lena gewidmeten Teil – eigentlich gar nicht viel passiert. Das verdient großen Respekt. Davor ziehe ich den Hut. Auch vor der Atmosphäre, die Anne Goldmann aufbaut. Wirklich beeindruckend. Wien fand ich sehr schön und für mich stimmig dargestellt.

Dass ich nicht ganz so euphorisch in den Chor des Lobes für Lichtschacht einfalle, lag eher an der Heldin Lena. Sie war mir leider bis zum Schluss kaum sympathisch. Nun muss ich eine Figur nicht unbedingt mögen, um gerne von ihr zu lesen, aber bei Lena saß der Stachel besonders tief. Ich fand sie zickig, teilweise nicht nachvollziehbar darin, wie sie sich gegenüber anderen verhält. Wie spannend ich das Buch gefunden hätte, hätte ich mich ihr ein wenig stärker verbunden gefühlt, mag ich mir gar nicht ausmalen. Wahrscheinlich hat sie mich sogar vor einem spannungsinduzierten Herzinfarkt bewahrt, wer weiß. Aber so hat es mich beim Lesen gestört. Auch, dass der immer wieder zu Wort kommende Bösewicht so 100%ig böse war. Ist vielleicht meiner etwas naiven Auffassung geschuldet, dass es keine 100%ig bösartigen Menschen gibt. Aber: so wenig Differenzierung passte für mich nicht in einen sonst so nuancierten Roman wie diesen.

Trotzdem – ich hab ihn sehr sehr gerne gelesen und würde Lichtschacht auch all jenen wärmstens empfehlen, die spannende Geschichten abseits des Krimi-Mainstream lesen wollen.

Fazit:
Ein besonderer, wahnsinnig spannender, aber auch kantiger Roman mit einer (mir etwas zu) widerborstigen Hauptfigur. Auf jeden Fall lesen, um sich eine eigene Meinung zu bilden.

Wolf Haas: Brennerova

Wolf Haas: Brennerova

Zusammenfassung:

Ob du es glaubst oder nicht. Zuerst wird der Brenner von einem Zehnjährigen bewusstlos geschlagen. Und dann versucht seine Freundin, ihn vor den Traualtar zu schleppen. Es läuft nämlich gerade ausgesprochen gut zwischen den beiden. Einziges Problem: Mit seiner anderen Freundin läuft es auch sehr gut. Da ist es für den Brenner ein Glück, dass noch eine dritte Frau in sein Leben tritt, indem sie verschwindet. Vermutlich ist sie von Mädchenhändlern entführt worden, und die Suche nach ihr hilft dem Detektiv bei der Lösung seiner privaten Probleme, sprich Flucht in die Arbeit. Denn nie kannst du besser über das Glück nachdenken, das ein Ehering bietet, als wenn der berüchtigtste Zuhälter der Stadt gerade dazu ansetzt, dir die Hände abzuhacken. (Klappentext auf der Seite von Hoffmann & Campe)

Meine Meinung:

Ach, der Herr Haas. Er ist und bleibt einer meiner liebsten Schriftsteller zwischen Burgenland und Vorarlberg. Ich kann mich kaum sattlesen an seinen ur-österreichischen und doch irgendwie universellen Beobachtungen, die er so mit verdeckt spitzer Zunge macht. Die Geschichte vom Brenner, der mal wieder unversehens in einen Fall von verschwundenen Russinnen, vertauschten abgehackten Händen und mongolischen Geiselnahmen stolpert, ist so schön haarsträubend absurd und getragen vom unnachahmlich intelligent-doofen Stil des Erzählers, da spielt es gar keine Rolle mehr, ob die Handlung irgendwie logisch oder löchrig ist. Es macht einfach Spaß! Und dass mir der Herr Haas dazu auch noch meine persönlichen Erinnerungen an den Josef Wenzel Hnatek selig ausgegraben hat – dafür allein hat sich die Lektüre schon gelohnt. Warnung nur an jene, die dem österreichischen Slang oder Lebensgefühl nichts abgewinnen können: lieber Finger weg!

Fazit:

Ein Lesevergnügen, das viel intelligenter ist als es tut. Da stören dann auch die vielen Ungereimtheiten in der Geschichte nicht mehr. Weil im Hintergrund.

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